Der Hollerbaum (T.: Theodor Kramer/ M.: Heinrich Herlyn)
Heinrich Herlyn Heinrich Herlyn
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 Published On Jun 8, 2024

Wo die Stadt mit wenig Schloten
breit ins Weinland über geht,
hauste hinter grünen Schoten
der Chauffeur und stach sein Beet.
Abends wenn sein schwerer Wagen
erst in der Garage stand,
lehnte er verschmiert am Schragen*
gern und summte still ins Land:

Kleiner Brunnen vor dem Tor,
alter Hollerbaum;
dunklem Rauschen steht das Ohr
offen wie im Traum.

Und es bot ihm eine Bande
als er ohne Dienst einst stand, an,
mit ihrem Diebsgewande,
sie zu fahren über Land.
Und er fuhr sie, in den Schenken
schlugen sie die Webe** los;
im Verschlag saß er beim Lenken
breit wie je und summte bloß:

Kleiner Brunnen vor dem Tor…

Und die Nacht kam, da nach ihnen
scharf gefahndet ward im Land;
Lichter blitzten. Kabel schienen
über jede Bahn gespannt.
Und er pfiff, da die Genossen
hinter ihm sich auf den Bauch
warfen und ins Blinde schossen,
durch die Zähne in den Rauch:

Kleiner Brunnen vor dem Tor…

Und auf schwarzen Wegen
setzten sie im Zickzack durch die Nacht
ziellos bis die Reifen platzten
und sie wurden früh gebracht
aus dem Korn. Der, der den Wagen
hatte fest geführt, lag wund;
bläulich, als sie ihm die Tragen schnitten,
hauchte noch sein Mund:

Kleiner Brunnen vor dem Tor,
alter Hollerbaum,
dunklem Rauschen steht das Ohr
offen wie im Traum.

(* Sägebock, ** Stoff)



www.heinrich-herlyn.de

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