Prof. Dr. Peter Sloterdijk im Gespräch mit Dr. René Scheu: Die Schweiz – Dynamit im Herzen Europas.
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 Published On Jul 4, 2023

Bereits im Landesnamen der Schweiz, der Eidgenossenschaft, verberge sich das Geheimnis modernen Zusammenlebens, sagt Prof. Dr. Peter Sloterdijk im Gespräch mit Dr. René Scheu, Geschäftsführer des IWP und selbst Philosoph. Denn eine Eidgenossenschaft sei im Kern eine Zusammenkunft von erwachsenen und freien Bürgern, die sich auf einer Lichtung treffen, um gemeinsam über die Formen des Zusammenlebens zu beraten. Die Schweiz ist in der Tat nicht, wie die meisten anderen Nationalstaaten Europas, als eine Kulturnation entstanden, sondern in der Tradition der mittelalterlichen Versammlungsidee verankert. Da lege man, so Sloterdijk, das eigene Schicksal mit einem Schwur symbolisch in die Hände des Gegenübers. Dies schaffe eine andere Idee von Souveränität als in den übrigen Nationalstaaten Europas. Warum diese Art der Souveränität kein Mythos ist, sondern ungebrochene Aktualität besitzt, erklärt Peter Sloterdijk im Video.

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Inhalt
Der interessanteste Helvetismus, in der Philosophie, findet sich bei Nietzsche in seiner Aussage: «Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit.» Denn Dynamit ist der Beitrag, wenn man so will, der Schweiz, sozusagen, zum modernen Verkehrswesen. Also er sagt nicht, dass er die Welt in die Luft sprengt, sondern, «Ich bin Dynamit», heisst bei ihm, ich versetze zwar keine Berge, aber ich durchbohre Berge. Und zwar so, dass man dann, mit einer erhöhten Verkehrsfähigkeit, auf der anderen Seite wieder herauskommt. Weil, «Ich bin Dynamit», ich öffne die Strasse in den Süden. So muss man das übersetzen. Peter, welchen Klang hat für dich das Wort «Eidgenossenschaft»? Was ist eine Eidgenossenschaft? Das Besondere an den Schweizer Verhältnissen ist eben dies, dass die Schweizer das Geheimnis einer Staatsbildung bereits in ihrem Namen tragen. Viele andere Nationen modernen Typs, nennen sich entweder, immer noch ein Reich, oder haben einen historischen Namen, wie «France» oder, «Brittany». Oder die Vereinigten Staaten von Amerika, sie nennen sich also Staaten, oder sie nennen sich Republik. Aber wenn ich Staat sage, oder Republik sage, habe ich das Geheimnis des Zusammenlebens, von Menschen innerhalb dieses körperschaftlichen Gebildes, noch nicht verraten. Die Schweizer sind in diesem Punkt freigiebiger. Und nennen sich schon so, wie sie leben. Das heisst, eine Eidgenossenschaft ist primär keine Nation. Sie kann die Form einer Republik annehmen, sie könnte sich auch Demokratie nennen. Das wären allerdings, oder sie könnte sich auch Bundesrepublik nennen, oder so, wie es andere politische Gebilde tun. Aber in dem Wort der Eidgenossenschaft, sieht man einen ganz anderen Vorgang. Man sieht nämlich, eine Zusammenkunft, in der Regel von erwachsenen Personen, vielleicht aber auch mit ihrem familiären Anhang, und die stehen auf einer grossen Lichtung, sich gegenüber, und versprechen sich gegenseitig, die Formen des Zusammenlebens, miteinander zu entwickeln. Das ist eine ganz ungeheuerliche Tatsache. Nun, worin genau besteht die Bedeutung des Eids? Dass dieses in der Form eines Eides belegt wird, ist insofern auch von hoher Bedeutung, weil Menschen früher mit dem Eid, sozusagen, ihre ganze Person verpfänden konnten. Heute vor Gericht leistet man Eide, oder Meineide, wie es halt gerade kommt. Aber in der mittelalterlichen Kultur, und auch in der Zeit, als die Schweiz entstanden ist, aus der mittelalterlichen Versammlungsidee heraus; Dass das Schwören so wichtig geworden ist, weil das Schwören ist ja auch eine Sache, die bei der Angelobung eines Vasallen zu einem Herrn, eine enorme Bedeutung annimmt, weil er sozusagen sein Leben, seine Existenz, verpfändet, im Eid. Was übrigens auch eine theologische Implikation hat. Denn wer den Eid bricht, ist, nach traditionellem theologischen Verständnis, in das Lager Satans übergelaufen. Das heisst, den muss nicht erst der Teufel holen, sondern der hat sich freiwillig in dessen Lager begeben. Kurzum, also das Schwören ist als politischer Akt deswegen so wichtig, weil die Schweizer Verfassung, auch der Schweizer Landesname, diese Konföderation, diese Angelobung mit zum Ausdruck bringt. Das tun andere politische Einheiten, nie in der gleichen Explizitheit. Also wir haben in den religiösen Traditionen immer noch so etwas wie, Firmungen oder Konfirmationen, aber regelrechte Bürgerweihen oder so etwas, finden in der Regel in westlichen Nationen nicht statt. Man bekommt mit dem 18. Lebensjahr, mehr oder weniger automatisch, die politische Reife zugestanden, oder zugesprochen, oder zumindest zugeschrieben. Unabhängig davon, ob der persönliche Zustand der Person dem genügt. Aus der Schweizer Sicht, sieht die Sache anders aus.

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