Es ist vorbei. Ich breche mein Schweigen.
Majas Insel Majas Insel
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 Published On Apr 17, 2023

#gewaltfrei
#metoo
#missbrauch
#gegenkindesmissbrauch
#stehauf

Es gibt keine Hilfe.
Ich werde dazu aufgefordert, zu schweigen.
Und ich schweige.
Jedes Jahr.
Jedes Mal wieder.
In jeder Situation.
Denn ich habe Angst.
Angst davor, dass ich bestraft werde, wenn ich Namen nenne.
Angst davor, dass ich bestraft werde, wenn ich die Situation wiedergebe.
Angst davor, dass mich niemand hört.
Angst davor, dass man sich lustig macht.
Angst davor, dass es heruntergespielt wird.

Angst davor, dass man mir sagt, dass es meine Schuld war.
Vor allem Angst davor, dass ich übertreibe. Dass ich nicht das Recht habe, mich so zu fühlen, wie ich mich fühle.
Weil ja nichts passiert ist.
Denn ich habe nicht „Nein“ gesagt.

Die schuldige Person ist dort schnell gefunden. Denn ich habe ja mitgemacht.

Es fällt leicht, die Schuld von sich zu weisen.
Und so nehmen wir die Schuld auf uns.

Mein Weg hat mir meine Werkzeuge des Lebens gegeben.
Es gibt kein Nein.
Auch keine Grenzen.
Ich habe keinen Wert.
Ich kann nicht entscheiden.
Ich darf mich nicht wehren.
Ich bin zu schwach.
Ich habe zu schweigen.

Und so
Um mich selbst zu schützen, tue ich, was man von mir möchte. Was man erwartet. Was man mir sagt.
Ich habe gelernt, wie ich mich verhalten muss, um Strafen zu entgehen.


Sage ich nicht nein, kann mein Nein nicht übergangen werden.
Setze ich keine Grenzen, können sie nicht überschritten werden.
Gebe ich mir keinen Wert, dann gibt es auch keine Wertlosigkeit.
Entscheide ich nicht, so kann mir meine Entscheidung nicht genommen werden.
Wehre ich mich nicht, werde ich nicht geschlagen.
Akzeptiere ich, dass ich zu schwach bin, denke ich nicht darüber nach, ob ich der Situation nicht doch hätte entgehen können.
Und schweige ich, so leide wenigstens nur ich darunter.

Missbrauch tarnt sich im Korsett der scheinbaren Freiwilligkeit.

Unsere Schwäche wir ausgenutzt.
Unser Weg wird ausgenutzt.
Unsere Kindheit wird ausgenutzt.
Wir werden ausgenutzt.
Angelockt.
Missbraucht.
Weggeschmissen.

Und bei all dem schaffe ich es nicht einmal, mitleidslos zu bleiben. Denn mir tut es so leid. Für jeden. Man wird so nicht geboren.
Jede Person, die mir das angetan hat, hat ihre eigene Geschichte.
Dein Vater schlägt Dich.
Du schlägst dein Kind.
Man sagt Dir, du bist ein wertloses Kind.
Du suchst deinen Wert in Befriedigung durch mich.
Deine Grenzen wurden nicht respektiert.
Du dominierst mich.

Ein Missbrauchstäter missbraucht nicht nur andere, sondern auch sich selbst, nachdem er ebenfalls missbraucht wurde.

Und ich spüre das, jedes Mal.
In jeder Situation.
In jeder Beziehung.
In jedem Verhältnis.
Mir tut es leid. Ich möchte helfen. Ich möchte verstehen. Ich lasse mich darauf ein.
Manchmal kommt es mir so vor, als wären Opfer und Täter den selben Weg gegangen. Man fühlt sich verbunden. Man ist nur auf unterschiedlichen Straßenseiten.
Manchmal scheint man sich dabei fast zu ergänzen. Indem man das Monster des anderen hervorholt. Es füttert.



Aber das darf keine Entschuldigung sein.

Ich suche schon so lange nach einer Lösung und ich finde keine.
Nach einer Lösung, damit dieser gegenseitige Missbrauch endlich aufhört.
Die wahren Verbrechen verstecken sich hinter jeder geschlossenen Tür. Geheim. Unentdeckt. Unausgesprochen. Im eigenen Zuhause.
Ich mag keine geschlossenen Türen. Meine Zimmertür steht immer offen. Außer, ich habe Angst. Dann verschließe ich sie.


Ich bin nur ein weiterer Einzelfall, der sich unter der Oberfläche abspielt.
Ich bin nur eine Geschichte von tausenden, die sich zwischen dem Missbrauch auf YouTube verbirgt.
Dem Missbrauch der Welt.
Ich bin nur ein Körper.
Eine Stimme, ein Gesicht, welches man in einem Video sehen kann.
Eine Nummer.
Ein Klick.
Ungesehen. Ungeeignet für den Algorithmus.
Ich gehe unter zwischen jedem Haul, jedem Videospiel, jedem Quiz, jeder Verschwörungstheorie.

Aber das ist meine letzte Möglichkeit, mir selbst eine Stimme zu geben.
Und damit auch jedem anderen Menschen, dem Missbrauch widerfahren ist.

Wir sind nicht nur Körper.
Oder Fans.
Zahlen.
Abonnements.
Stützen einer Familie.
Kinder als Versuch, etwas zu retten, das bereits zerbrochen ist.
Werkzeuge.

Solange es konsequenzlos bleibt, hört es nie auf.
Solange niemand darüber spricht, hört es nie auf.
Solange es nicht bestraft wird, hört es nie auf.
Solange wir keine Lösung finden.

Es gibt 1000 letzte Zigaretten.
1000 letzte Versprechen.
1000 „Ich tue es nie wieder.“
Auf 1000 „Es ist schon wieder passiert.“
Einmal noch. Und dann nie wieder.
Einmal noch. Eine Ausnahme. Dann nie wieder.
Einmal noch.

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